2007/07/11

11/07/1995 ... 11/07/2007

12. Jahrestag der Einnahme der Enklave von Srebrenica.

Die diversen victims' organisations sind dementsprechend eifrig am Werk... Ueberall haengen Plakate und Poster, welche auf den Jahrestag hinweisen; ausserdem wurden Ausstellungen und aehnliches organisiert. In Srebrenica selbst bzw. im wenige Kilometer entfernten Potočari, wo das Srebrenica Memorial errichtet wurde, findet heute die Beisetzung weiterer 465 Opfer statt, welche zuvor im Konvoi von Višoko (Naehe Sarajevo) nach Srebrenica gebracht wurden. Natuerlich sind diverse VertreterInnen der international community bei der Gedenkfeier vor Ort, allen voran ICTY Chief Prosecutor Carla Del Ponte, die ihre Position von 2005 (Nicht-Teilnahme aus Protest, nachdem Mladić und Karadžić nach wie vor frei sind) wohl auf Grund praktischer Erwaegungen endgueltig aufgegeben hat. Vermutlich ist auch irgendwer von der OSCE vor Ort (Master Rodehaver allerdings nicht, der ist naemlich derzeit in Wien) - uns anderen wurde jedoch im morgentlichen Security Update folgendes verlautbart: "To prevent any possible security/travel implications SREBRENICA and BRATUNAC are off limits for all OSCE staff on 11 Jul 07."
Am 8. Juli startete in Sapna (in der Naehe von Tuzla) ein Gedenkmarsch mit etwa 1800 - 2500 TeilnehmerInnen Richtung Srebrenica. Die Strecke entspricht jener, auf der eine Gruppe von Fluechtenden aus der Enklave 1995 zu entkommen versuchte. Am Abend des 11. Juli 1995 versteckte sich ein Teil der maennlichen Bewohner Srebrenicas soweit moeglich in den umliegenden Waeldern und versuchte spaeter gemeinsam mit den in der Enklave verbliebenen Angehoerigen der bosnisch-muslimischen Armee (den wenigen, die nicht - Pech? Zufall? schlechtes Timing? verschwoerungstheoretische Paranoia? - trotz sich deutlich zuspitzender Lage wenige Tage zuvor abberufen worden waren), in muslimisch kontrolliertes Gebiet durchzukommen. Zeugenaussagen sprechen von 4.000 bis 15.000 Maennern, die sich auf den Weg machten; bezueglich der Frage, wieviele davon trotz mehrfacher Angriffe auf die Marschkolonne sicher in Tuzla angekommen sind, habe ich noch keine ansatzweise vertrauenswuerdige Aussage gelesen. Nicht, dass Zahlen im Fall Srebrenicas irgendwas anderes waeren als manipulativ eingesetzte Waffen.
Auf der - erfolglosen - Suche nach einem genaueren Richtwert hab ich grad unter anderem nochmal in der englischsprachigen wikipedia nachgeschaut, da dieses Medium bei solchen Sachen normalerweise ueberraschend vertrauenswuerdig ist, weil sich die diversen, unterschiedlichen Ethnien angehoerigen Autoren ja auf fuer alle halbwegs akzeptable Werte einigen muessen... Derzeit scheinen dort aber die pro-serbischen Verfasser die Nase vorn zu haben, was sich an Behauptungen wie "The vast majority of the people from Srebrenica later reported as missing were among the 10,000 to 15,000 people who undertook this perilous journey." ablesen laesst. Mhm, genau... und sie sind alle an Erschoepfung und Dehydrierung gestorben.

Wie auch immer... ich beweifle, dass die "Wahrheit" ueber das, was im Juli 1995 in Srebrenica geschehen ist, jemals herauskommen wird - auch dann nicht, wenn Ratko Mladić schon lange in Freiheit gestorben ist und neben seiner Tochter, welche 1994 Selbstmord beging und deren Grab in Belgrad er nach wie regelmaessig besucht, begraben liegt. Madame Del Ponte's Arm reicht wohl nicht weit genug, um trauernde Vaeter zu belangen.
Vermutlich gibt es diese eine, definitive "Wahrheit" auch garnicht - jede/r einzelne Beteiligte hat doch sowieso seine eigene, und versucht mit den Konsequenzen so gut (oder schlecht) wie moeglich umzugehen. Die niederlaendische Regierung ist 2002 als Reaktion auf den NIOD-Bericht (grossteils als symbolische Geste, nachdem die Legislaturperiode ca. 2 Monate spaeter ohnehin geendet haette) zurueckgetreten, Thomas Karreman hat die Armee verlassen und ist nach Spanien ausgewandert, die Schulterklopfer der international community finden sich jedes Jahr in Srebrenica ein. Die meisten Serben lernen langsam, ihre Verantwortung ansatzweise einzugestehen und die meisten muslimischen Frauen von Srebrenica geben die Hoffnung auf Hinweise auf den Verbleib ihrer Soehne und Maenner und die daraus resultierende Hoffnung auf ein Grab, das sie besuchen koennen, sowie die auf Rueckkehr in ihre Haeuser, ebenso langsam auf.


"If the world weren't such a beautiful place, we might all turn into cynics."
(Paul Auster, Moon Palace)


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