2007/07/23

I See Thee Wye? Icy Tee - Why?*

-> ICTY - International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia

14 Jahre nach seiner Entstehung naehert sich inzwischen wohl das mehrfach aufgeschobene endgueltige Ende des Mandats dieser voelkerrechtlich nicht voellig unbedenklichen Institution. Im Gegensatz zum Internationalen Strafgerichtshof (ICC), der auf einem multilateralen Vertrag beruht (welcher bis Anfang 2007 von 104 Staaten unterzeichnet und ratifiziert wurde, nicht jedoch von den USA), wurde das ICTY durch Resolution 827/1993 des UN-Sicherheitsrats auf Basis einer ziemlich groesszuegigen Auslegung von Kapitel VII der UN-Charta ("Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit") etabliert. Der fruehere serbische Praesident Slobodan Milošević begruendete seine Weigerung, das Tribunal anzuerkennen, mit dieser in seinen Augen voelkerrechtwidrigen Basis - eine Meinung, mit der er nicht voellig allein dastand, auch wenn bei vielen seiner Unterstuetzer wohl auch politische Motive fuer ihre Auslegung der rechtlichen Grundlagen vermutet werden koennen. Fuer einen ausgezeichneten Ueberblick voelkerrechtlicher und anderer Kritikpunkte am ICTY verweise ich an dieser Stelle auf meine ungelesen in der Schreibtischschublade meines Professors vor sich hinmodernde Seminararbeit vom September 2006, höhö...

Jedenfalls besteht aus dieser Sicht wohl kein Grund, dieser Institution nachzuweinen - auch wenn eine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen der Balkankriege ohne sie zumindest bis vor wenigen Jahren sicher nicht moeglich gewesen waere und sie daher zweifellos - und trotz nicht voellig von der Hand zu weisender Vorwurfe einer gewissen Voreingenommenheit - einen aeusserst wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschehnisse geleistet hat. Die Ermittlungsergebnisse des ICTY dienen der bosnischen Justiz heute und wohl auch in Zukunft als unverzichtbare Grundlage eigener Untersuchungen und Verfahren. Diese Ermittlungsergebnisse wurden jedoch auch teuer bezahlt - das Budget des ICTY fuer 2006/07 betrug immerhin beachtliche 276.474.100 $ (1).
Die auf der Homepage des Tribunals angefuehrte Rechtfertigung ("The expense of bringing to justice those most responsible for war crimes and for helping to cement the Rule of Law in the former Yugoslavia pales in comparison to the true cost of the crimes: the lives lost, the communities devastated, the private property ransacked and the cultural monuments and buildings destroyed forever" (2)) klingt zwar geradezu ruehrend altruistisch - eine derartige Summe haette aber vermutlich hier in BiH auch einiges zur Staerkung der Strafgerichtsbarkeit - und damit ihrer Moeglichkeiten, die entsprechenden Verfahren selbst zu fuehren - beitragen koennen.

Bisher wurden 106 Verfahren abgeschlossen; dabei wurden 51 Angeklagte verurteilt und inhaftiert, 5 freigesprochen und 14 an die nationale bosnische Strafgerichtsbarkeit uebergeben (fuer diese Faelle, die auf Basis von Rule 11bis der Rules of Procedure and Evidence des ICTY an den bosnischen State Court uebergeben werden, haben wir hier im Department uebrigens eine eigene Unterabteilung). Die Anklagen gegen 25 Personen wurden zurueckgezogen, 11 sind verstorben. Derzeit sind Verfahren gegen 55 Angeklagte im Gange, vier Personen sind nach wie vor fluechtig. (alle: Stand 12/07/2007 (3)) Scheint also noch einiges an Arbeit anzustehn, da das Tribunal plant, alle Prozesse bis Ende 2009 abgeschlossen zu haben, sowie saemtliche Berufungsverfahren bis 2010 zu beenden - wobei diese Zeitrahmen bei einer Verhaftung Radovan Karadžićs und/oder Ratko Mladićs jedoch moeglicherweise verlaengert werden wuerden.
Inzwischen gibt's auch die ersten Streitereien ueber die Frage, wohin die unzaehligen Akten des ICTY nach dessen Aufloesung gebracht werden sollen. Serbien hat Zeitungsberichten zufolge bereits mehrfach anklingen lassen, dass es das Archivmaterial gern in Belgrad sehen wuerde - BiH bezeichnet dies naheliegenderweise als "skandaloesen Vorschlag" und betrachtet Sarajevo als ideale Alternative. Carla Del Ponte, Chief Prosecutor und Aushaengeschild des Tribunals, haelt sich clevererweise vorerst raus und betont die Zustaendigkeit des UN-Sicherheitsrat. Wie auch immer das dann letzten Endes ausgehn wird - sofern sich kein neutraler Ort fuer das Archiv findet, kann angenommen werden, dass der gewaltige Aktenberg spaetestens 2011 ordentlich zerfleddert und von Hinweisen auf bisher noch nicht belangte Verdaechtige des Staates, der den "Zuschlag" fuer das Archiv bekommt, gesaeubert wurde.

Madame Del Ponte hat aber wohl keine Lust mehr, solange in ihrem Job zu bleiben und sich zunehmenden Angriffen diverser victims' organisations (allen voran die Mothers of Srebrenica, die ihr beim Zusammentreffen anlaesslich des 11. Juli scheinbar ordentlich eingeheizt haben und ihr Luegen und leere Versprechungen vorwerfen) ausgesetzt zu sehen und daher Ende Jaenner 2007 ihren Ruecktritt bekannt gegeben - ihr mit Ende September auslaufendes Mandat wird also nicht verlaengert werden. Ihr Nachfolger wird hoechstwahrscheinlich der Belgier Serge Brammertz, welcher derzeit der UN International Independent Investigation Commission (die die Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpraesidenten Rafiq Hariri im Februar 2005 untersucht) angehoert und auch bereits am ICC taetig war. Vermutlich eine undankbare Aufgabe, die ihm da zufaellt - alle "losen Enden", die ihm Carla del Ponte in die Haende gibt innerhalb von 2 Jahren zu verknuepfen stellt doch eine beachtliche Herausforderung dar.

*) Wye ist uebrigens ein kleiner Ort in Kent oder ersatzweise auch ein amerikanischer Fachausdruck fuer eine bestimmte Form von Eisenbahnkreuzung. Wieder was gelernt, jaja...

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